Editorial : Zertifizieren statt spionieren : aus der RDV 2/2015, Seite 57 bis 58
Die Welt um uns herum ist voll von Spionen, auch in unseren Autos. Moderne Fahrzeuge enthalten eine Vielzahl von Sensoren. Sie erheben und übermitteln etwa an den Hersteller Daten über den Fahrzeugzustand, die Umgebung und Position des Autos und das Fahrverhalten. Vermehrt werden auch Daten erhoben, die sich unmittelbar auf den Fahrer beziehen, wie seine Alkoholisierung, sein Gesundheitszustand oder seine Gemütslage. Sie leiten weiter, ob der Airbag aktiviert ist, der Gurt geschlossen sowie ob und mit wie viel Gewicht die Sitze belegt sind. Diese Daten lassen Rückschlüsse auf persönliches Verhalten zu, das im Zweifel gegen den Fahrer verwendet werden kann. So wurden etwa schon Mängelansprüche während der Gewährleistung unter Hinweis darauf zurückgewiesen, dass die vom Achslastsensor aufgezeichnete Überschreitung der zulässigen Last auf der Hinterachse überschritten war.
Die aus dem Fahrzeug gesendeten Daten ermöglichen durch die Übertragung der Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) eine Zuordnung der Informationen zum Fahrer. Sie lassen selbst dann eine Aussage über die Persönlichkeit des Fahrers zu, selbst wenn man das nicht vermutet. Wer etwa auf einer Flanierstraße mit offener Fensterscheibe, nicht angeschnallt im Wechsel beschleunigt und abbremst und dabei eine bestimmte Musik hört, der ist auch für die Werbewirtschaft hinreichend gekennzeichnet. Man kann ihn vermutlich mit sportlichen Felgen oder Auspuffanlagen und vielleicht sogar mit einem Angebot für einen Saunaclub eher beglücken, als mit einer Heizdecke. So etwas nennt man Scoring, also das Bilden von Kaufprofilen. Wer sich angesichts dessen Sorgen um seine Privatsphäre macht, der sieht keine grünen Männchen, sondern ist in der Realität angekommen.
Viele wollen Abstandsassistent & Co. aber nicht mehr missen. Wer seinen Fuhrpark oder seine Mietwagenflotte mit aktuellen Modellen bestücken will, der kommt nicht an kommunizierenden Autos vorbei.
Nun sind die Datenschützer in der Automobilindustrie aufgerufen, ihre Verantwortung für einen verantwortungsvollen Umgang mit smarten Autos zu übernehmen. Das gilt für Hersteller sowie für Zulieferer. Zum Glück hat uns gerade die Automobilindustrie schon vorgelebt, wie man Sicherheit in Autos verbaut. Jeder Zulieferer der vom Cupholder für einen Kaffeebecher bis zur Lampenfassung an einen führenden Automobilhersteller liefern will, muss hohe Zertifizierungsanforderungen erfüllen. Dieses System ist aufwendig. Zugleich bringt es Fahrzeuge hervor, die weltweit Qualitätsmaßstäbe setzen. Dieser Ansatz muss auf den Einsatz von kommunizierender Technik im Fahrzeug übertragen werden. Wer zum Beispiel eine intelligente Software zur LKW-Routenplanung anbietet, muss unter Zugrundlegung eines transparenten Standards festgelegte Vorgaben für Datenschutz und Datensicherheit einhalten. Die Zertifizierung solcher Standards kann nur durch eine unabhängige Stelle erfolgen. So ist sichergestellt, dass Routenplanungen für LKWs, die mit der Umwelt und anderen Fahrzeugen auf Basis von Big Data-Anwendungen kommunizieren, sicheren Standards entsprechen. Wenn die Datenverarbeitungsvorgänge offengelegt werden, sind sie verantwortbar. Zertifiziert und transparent handelnde Spione sind keine Spione, sondern Helfer.
Rolf Schwartmann
Prof. Dr. Rolf Schwartmann
Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der Fachhochschule Köln, Mitherausgeber der Fachzeitschrift RDV sowie Vorstandsvorsitzender der GDD e.V., Bonn