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Urteil : Rechtsschutz bei Anlassbeurteilungen : aus der RDV 6/2016, Seite 333 bis 334

(Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Juni 2016 – 10 Sa 98/16 –)

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Sehen Beurteilungsrichtlinien konkrete Voraussetzungen für eine Anlassbeurteilung vor, muss der Arbeitnehmer auch dazu die Rechtsschutzmöglichkeiten wie bei einer dienstlichen Beurteilung haben.

Aus den Gründen:

I. Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden. Die zulässige Berufung der Beklagten ist aber nicht begründet.

1. Der Arbeitgeber darf Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer beurteilen und die Beurteilungen in die Personalakten aufnehmen. Auch formalisierte Regelbeurteilungen können erstellt werden. Beurteilungen sollen ein möglichst objektives und vollständiges Bild der Person, der Tätigkeit und der Leistung des Beurteilten vermitteln (vgl. etwa BAG, Urteil vom 18. November 2008 – 9 AZR 865/07 m.w.N.).

Da spätestens mit der Aufnahme der dienstlichen Beurteilung in die Personalakte das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerin betroffen sein kann, hat die Klägerin ein Rechtsschutzbedürfnis, die Richtigkeit der dienstlichen Beurteilung vom 20. November 2014 überprüfen zu lassen (vgl. etwa BAG, Urteil vom 18. August 2009 – 9 AZR 617/08).

1.1 Die Kontrolldichte der Gerichte richtet sich danach, wie die Beurteilung begründet wird. Art. 33 Abs. 2 GG eröffnet dem öffentlichen Arbeitgeber mit den Begriffen „Eignung, Befähigung und fachliche Leistung“ einen Beurteilungsspielraum, der nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegt. Für dienstliche Beurteilungen mit Prognosecharakter besteht eine lediglich begrenzte gerichtliche Kontrollbefugnis (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 2002 – 2 BvR 723/99).

Werden Einzelvorkommnisse konkret benannt, ist der Sachverhalt voll zu überprüfen. Wird die Beurteilung auf allgemein gehaltene Tatsachenbehauptungen gestützt, hat der Arbeitgeber sie auf Verlangen des Arbeitnehmers zu konkretisieren, also plausibel zu machen. Das Gericht hat im Prozess auch insoweit voll zu kontrollieren, ob der Arbeitgeber von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist. Wird eine dienstliche Beurteilung auf reine Werturteile gestützt, muss der Arbeitgeber im Rechtsstreit keine einzelnen Tatsachen vortragen und beweisen, die den Werturteilen zugrunde liegen (vgl. BAG, Urteil vom 18. August 2009 – 9 AZR 617708; BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 2002 – 2 BvR 723/99; BVerwG. Urteil vom 26. Juni 1980 – 2 C 8/78). Reine Werturteile beruhen nicht auf konkreten einzelnen Vorgängen und lassen auch aus dem Zusammenhang der Aussage nicht in einer dem Beweis zugänglichen Weise erkennen, auf welcher bestimmten Tatsachengrundlage sie beruhen (BVerwG 26. Juni 1980 – 2 C 8.78).

Werden diese Vorgaben beachtet, gewährleistet die allgemeine Verwaltungspraxis im Beurteilungswesen, nämlich – Bekanntgabe der Beurteilung, Besprechung und Möglichkeit, Änderung oder Konkretisierung von pauschalen Tatsachenbehauptungen zu verlangen – grundsätzlich ausreichenden Grundrechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG 29. Mai 2002 – 2 BvR 723/99).

1.2 Auch wenn danach dienstliche Beurteilungen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar sind, ist neben der Kontrolle, ob der Beurteiler allgemeine Beurteilungsmaßstäbe beachtet und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat, jedenfalls auch gerichtlich zu prüfen, ob der Arbeitgeber im Rahmen der anzuwendenden Beurteilungsrichtlinien unabhängig von dem Inhalt der dienstlichen Beurteilung ein fehlerfreies Verfahren eingehalten hat (vgl. BAG, Urteil vom 18. November 2008 – 9 AZR 865/07).

2. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Anlassbeurteilung der Klägerin vom 20. November 2014 in einem fehlerfreien Verfahren zustande gekommen ist.

2.1 Alleiniger Anlass der Beklagten für die Anlassbeurteilung war eine von ihr angenommene Leistungsverschlechterung der Klägerin. Eine solche Anlassbeurteilung ist aber nach dem Beurteilungssystem der Beklagten allein zulässig, wenn „seit der letzten Beurteilung über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten eindeutig dokumentierte wesentliche Änderungen im Gesamturteil um mindestens einen Punkt (Abschnitt 3.4 in Verbindung mit Abschnitt 4.1) eingetreten sind (siehe auch Abschnitt 3.2 Abs. 5)“ (Ziffer 2.4 Abs. 1 Buchstabe m BARi). Anders als das Arbeitsgericht meint, kann zwar eine eindeutige Dokumentation auch ohne Schriftlichkeit erfolgen wie z.B. in elektronischer Form, aber Ziffer 2.4 Abs. 1 Buchstabe m BARi verlangt nicht nur eine Dokumentation, sondern eine eindeutige Dokumentation. Bei einer nicht verschriftlichen Dokumentation ist es schon generell schwierig, die Eindeutigkeit festzustellen.

2.1.1 Aber Ziffer 2.4 Abs. 1 Buchstabe m BARi verlangt auch nicht nur eine ein eindeutige Dokumentation, sondern dort ist weiter festgelegt, was die eindeutige Dokumentation beinhalten muss. Aus ihr muss sich ergeben, dass eine wesentliche Änderung im Gesamturteil um mindestens einen Punkt zu erwarten sein muss. Durch die dortigen Verweise auf Abschnitt 3.4 in Verbindung mit Abschnitt 4.1 sowie auf Abschnitt 3.2 Abs. 5 ergibt sich aber, dass ein allgemeiner Eindruck einer (erheblichen) Verschlechterung nicht ausreichend ist. Vielmehr muss durch die Bezugnahme auf die Kriterien der Ermittlung der Gesamtpunktzahl in den einzelnen Beurteilungskriterien selbst jeweils eine solche Verschlechterung eingetreten sein, die eine Abweichung von einem Punkt (oder mehr) in der Gesamtnote erwarten lässt. Aus dem Verweis auf Abschnitt 3.2 Abs. 5 ergibt sich zudem, dass diese Abweichung zunächst ohne die Faktorisierung zu ermitteln ist und sich erst im Rahmen der – späteren – Faktorisierung ergibt, ob die Abweichung der Leistungen mindestens einen Gesamtpunkt umfasst.

2.1.2 Darüber hinaus verlangt Ziffer 2.4 Abs. 1 Buchstabe m BARi, dass der Leistungsabfall mindestens über einen Zeitraum von 6 Monaten andauert. Insofern bedarf die eindeutige Dokumentation – in welcher Form auch immer – eines Hinweises, wann erstmalig welcher Leistungsabfall festgestellt wurde, dass dieser nach Ablauf von mindestens 6 Monaten immer noch bestand und dass sich zwischenzeitlich keine (vorübergehende) Veränderung ergeben hat. Auch dieses ist dem Vortrag der Beklagten nicht zu entnehmen. Soweit auf die verschiedenen Personalgespräche Bezug genommen worden ist, erstreckten sich diese zwar über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten, so dass dieses Kriterium grundsätzlich erfüllt sein könnte. Was dort aber jeweils ausgehend von den Beurteilungskriterien der Klägerin vorgehalten wurde, ist nur ansatzweise vorgetragen. Die im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 13. Mai 2015 aufgeführten Mängel beziehen sich jedoch weitgehend auf die Arbeitsqualität, die Kundenorientierung und die Kritik- und Konfliktfähigkeit. Würde man nun die tatsächlich in der Anlassbeurteilung angenommenen 5 Punkte der Arbeitsqualität (statt zuvor 7) und die 9 Punkte der Kundenorientierung (statt der zuvor 11 Punkte) zugrunde legen, ergäbe sich ein Zwischenergebnis von 7,8. Weshalb aber 7,8 im Vergleich zu zuvor 8,2 zu einer Abweichung um mindestens einen Punkt (also zu einem Gesamtergebnis von höchstens 7) führen soll, ist nicht ersichtlich. Die angeführten Mängel in der Kritik- und Konfliktfähigkeit sind für die Beurteilung weitgehend unerheblich, da dieses mit dem Faktor 0 bewertet worden ist.

2.2 Anders als die Beklagte meint, gilt trotz der Tatsache, dass dienstliche Beurteilungen nach der Rechtsprechung des BAG und des BVerfG auf reine Werturteile gestützt werden können, für die Auslöseschwelle für eine Anlassbeurteilung ein anderer Maßstab.

Wie oben unter 1.1 bereits ausgeführt, ist die Rechtsprechung bezüglich der Werturteile vom Bundesverfassungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein deshalb für zulässig erklärt worden, weil die allgemeine Verwaltungspraxis im Beurteilungswesen grundsätzlich einen ausreichenden Grundrechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG gewährleiste. Dazu gehört zwingend die Bekanntgabe der Beurteilung, deren Besprechung und die Möglichkeit, Änderung oder Konkretisierung von pauschalen Tatsachenbehauptungen zu verlangen. Wenn dieser Maßstab auf die Auslöseschwelle für Anlassbeurteilungen übertragen würde, müssten dazu auch die vom BVerfG für erforderlich geachteten Rechtsschutzmöglichkeiten dabei für die Klägerin zur Verfügung stehen. Die Kritikgespräche könnten dafür ausreichend sein, wenn diese die eindeutige Zielrichtung der Anlassbeurteilung beinhalten würden und der Klägerin schon dabei die Möglichkeit, eine Änderung oder Konkretisierung von pauschalen Tatsachenbehauptungen zu verlangen, eindeutig dokumentiert eingeräumt wird.

Da dieses vom Berufungsgericht aber nicht festgestellt werden konnte, musste die Berufung zurückgewiesen werden.